Interview mit Prof. John (KSW, Schweiz)

Sehr geehrte Frau Gerstenlauer

Gerne beantworte ich Ihre Fragen

Sie waren der Leiter von vier großen Urologie Zentren: Unispital Zürich, Hirslanden, Tübingen und seit sieben Jahren leiten Sie die Klinik für Urologie in Kantenspital Winterthur. Gab es Unterschiede zwischen der Arbeit an einer privaten und an einer staatlichen Klinik? Gab es Vorteile/ Nachteile, die Sie erwähnen könnten? Welche Arbeitsbedingungen sind für Sie als Arzt wichtig?

John_18Als einer der ersten Konsolenchirurgen in Europa arbeite ich mit dem DaVinci-Telemanipulator seit 2002. Ich habe das Robotikprogramm am UniversitätsSpital Zürich, an der Privatklinik Hirslanden, an der Universitätsklinik Tübingen und seit 2009 am Kantonsspital Winterthur aufgebaut.

Ich stehe für eine gepflegte Privatmedizin ein wie auch dafür, dass ein grundversorgter Patient medizinisch letztlich keine schlechtere Behandlung erhalten sollte. Der zusatzversicherte Patient soll einen direkten Zugang zu mir und meiner Assistentin haben und eine direkte 1:1-Betreuung. Dies ist an einer Privatklinik wie auch an einem öffentlichen Spital mit entsprechender interner Organisation möglich. Der Vorteil am öffentlichen Spital in meinem Setting am Kantonsspital Winterthur besteht darin, dass jederzeit ein Assistenzarzt und ein Oberarzt zur Verfügung stehen, auch wenn ich in anderen Operationen oder Parallelterminen nicht unmittelbar abkömmlich bin. Ein mittelgrosses Spital wie das Kantonsspital Winterthur bietet die optimale Infrastruktur, ein vollumfängliches medizinisches Angebot zu gewährleisten mit allen interdisziplinären Nachbarkliniken, aber immer noch in der überschaubaren Grösse, nahe am Patient zu sein und kurze Wege der Kommunikation zu haben.

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Als Chefarzt am Kantonsspital Winterthur ist es mir wichtig, meine volle Arbeitskraft und Konzentration letztlich auf den Patienten zu bringen. Damit ist erwähnt, dass administrative und Planungssitzungen in der produktiven Zeit in meinem Alltag unerwünscht sind. Die geführte Teamarbeit ist an meiner Klinik zentral. Ärztlicher Dienst, Pflegedienst und Sekretariate arbeiten Hand in Hand letztlich zum Wohle des Patienten und zum subjektiven positiven Erleben der Behandlungsqualität.

Ihre Klinik hat ein interdisziplinäres Behandlungskonzept. Was genau bedeutet das für die Patienten?

Die Subspezialisierung in der Medizin hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Sogar in der Urologie können nicht mehr alle Schwerpunkte durch alle auf höchstem Niveau angeboten werden. Der Austausch und der Kontakt mit den Nachbarkliniken werden am Kantonsspital Winterthur besonders gepflegt. Uroonkologisch beispielsweise findet jede Woche ein interdisziplinäres Tumorboard statt (Radioonokologe, Medizinischer Onkologe, Pathologe, Radiologe, Urologe), wo komplexe uroonkologische Fälle gemeinsam beraten und ein Behandlungsvorschlag erarbeitet wird. Daneben müssen die Wege kurz sein, um prä- und postoperative interdisziplinäre Probleme ohne Verzug angehen zu können. Dazu zähle ich die Intensivstation, die interventionelle Kardiologie und die interventionelle Radiologie.

Das Einsetzen von roboterassistierten Technik wird Weltweit praktiziert. Ihre Klinik ist keine Ausnahme- Laparoskopische und roboterassistierte Eingriffe sind ein Schwerpunkt Ihrer klinischen Arbeit. Welche Vorteile bietet die Schlüsselloch-Chirurgie gegenüber offenen chirurgischen Eingriffen?

 John_9Aufgrund meines Curriculums mit einem Schwerpunkt in der laparoskopischen Uroonkologie und rekonstruktiven Urologie operieren wir sehr viele Prostatakarzinome, Nierenzellkarzinome und Blasenkarzinome. In den vergangenen 14 Jahren ist es gelungen, die offene Schnittoperation schrittweise durch die laparoskopisch roboterassistierte Technik zu ersetzen. Damit nimmt die Morbidität ab, die Erholung ist wesentlich rascher und die Komplikationsrate ist kleiner. Gerade in der onkologischen Chirurgie ist auch der Blutverlust zentral, so beträgt die Transfusionsrate für eine radikale Prostatektomie gerade noch 2 %.

Herr Prof. Dr. John, Sie führten in der Schweiz die ersten roboterassistierten und minimal-invasiven Eingriffe durch. Mit heute über 1000 eigenen Eingriffen u.a. mit Da-Vinchi-Technik, ist es wahrscheinlich zu einem Routineprozess geworden. Wie genau verläuft eine solche Da-Vinchi-Operation und welche Vorteile bietet gegenüber anderen Eingriffen?

Kürzlich haben wir im Kantonsspital die 1‘000. DaVinci-Operation durchgeführt, persönlich habe ich bereits über 2000 Eingriffe seit 2002 absolviert. Entsprechend sind Eingriffe wie die radikale Prostatektomie ein völliger Routineeingriff geworden. Es ist jedoch zu betonen, dass jede Operation wieder anders verläuft, insbesondere bestehen onkologisch und funktionell bestimmte Voraussetzungen und Erwartungen bezüglich Radikalität und Heilung, bezüglich Erhalt der Potenz und selbstverständlich der Kontinenz. An meiner Klinik erreichen wir eine sehr gute Potenzrate bei beidseitiger Nervenschonung von 75% nach einem Jahr und einer 95%-igen sozialer Kontinenz nach sechs Monaten nach vollständiger Prostataentfernung. Die Nierenteilresektionen sind ebenfalls fast ausschliesslich nur noch laparoskopisch durchgeführt, damit kann der Flankenschnitt erspart werden. Schliesslich ist auch die vollständige Blasenentfernung an meiner Klinik die Routine geworden bei Blasenkrebs.
Bei der roboterunterstützten Laparoskopie sitzt der Operateur an einer Konsole und steuert die Instrumente in 3-dimensionaler Sicht, Tremorfilter und 360°-Beweglichkeit der Instrumente über die Schlüssellochtechnik am Patienten. Die Technologie vereint den Anspruch der minimalen Invasivität mit der optimalen intraoperativen Übersicht (3-D-Sicht, 10-mal Vergrösserung). Diese technischen Voraussetzungen bilden die Voraussetzung für den Siegeszug der Robotik in der Urologie seit 2002.

Oft assoziiert der Patient den Urologen mit einem Männerarzt. Das stimmt aber nicht ganz. Was für ein Behandlungsspektrum bieten Sie für Frauen an? Führen Sie auch Behandlungen für Harninkontinenz durch?

John_7An meiner Klinik behandeln wir 30 % Frauen. Ein Schwerpunkt meiner Klinik liegt in der Harninkontinenz bei Frau und Mann. Die Belastungsinkontinenz bei älteren Frauen ist häufig und sozial störend. Die Aufarbeit geschieht mit einer Blasenspiegelung sowie einer Ausmessung des Verschlussmechanismus. Oft kann älteren Frauen mit Belastungsinkontinenz durch eine einfache Operation (Harnröhrenband) die Lebensqualität wesentlich verbessert werden. Ebenfalls sind laparoskopisch Blasensenkungen und Blasenentleerungsstörungen gut zu korrigieren (Sakrokolpopexie). Durch das Abfallen der Blase im schwachen Beckenboden kommt es nämlich nicht selten zu einem Pressverhalten beim Wasserlösen, zu Restharngefühl und folglich entstehenden Harnwegsinfektionen.

Sie führen auch einzigartige Operationen an Harnblase durch, u.a. Einlegen einer künstlichen Blase. Aus welchem Material besteht eine künstliche Blase und wie lange hält sie? Die Blase ist ein dehnbares Hohlorgan, das im Zusammenspiel mit der Harnröhre und den Blasenschließmuskeln zum einen dazu dient, den Harn zu sammeln und zum anderen, ihn nach außen zu transportieren. Wie funktioniert das bei einer künstlichen Blase?

Es ist richtig, dass wir als eines der wenigen Zentren in Europa und noch einzige Klinik in der Schweiz nach vollständiger Blasenentfernung diese mit einer Dünndarmersatzblase rekonstruieren können. Die Dünndarmersatzblase wird an die Harnröhre genäht und es entsteht damit kein künstlicher Harnausgang. Nicht immer kann dieser Eingriff durchgeführt werden, dies hängt vor allem von der Tumorlokalisation in der Blase ab. Natürlich aber ist die Erholung der Patienten wesentlich schneller als mit einem grossen Bauchschnitt und die Komplikationen in der aktuellen Literatur und auch in unserer Erfahrung eher kleiner. Patienten mit einer Dünndarmersatzblase müssen regelmässig Wasser lösen, um das Darmkonstrukt nicht zu überdehnen. Ebenfalls sind Kontrollen des Säure-Base-Haushaltes nötig. Ältere Patienten sind unter Umständen mit einem Urostoma (Harnableitung über ein 15 cm grosses Dünndarmsegment an die Haut) sogar besser bedient, da sie nachts durchschlafen können. Selbstverständlich wird auch diese Harnblasenrekonstruktion an unserer Klinik vollständig laparoskopisch roboterassistiert durchgeführt.

Herr Prof. Dr. John, wenn wir heute von Vorsorge sprechen, warum sollte man Vorsorgeuntersuchungen durchführen lassen? Gibt es in der Vorsorge zwischen Mann und Frau Unterschiede und welche Untersuchungen sind am wichtigsten?

John_4Eine sinnvolle Vorsorgeuntersuchung für eine Frau ist eine Darmspiegelung und eine Brustuntersuchung im 50. Lebensjahr. Für einen Mann ist eine sinnvolle Vorsorgeuntersuchung die Darmspiegelung und die Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) sowie eine rektale Untersuchung ebenfalls im 50. Lebensjahr – bei Vorliegen eines Prostatakarzinomes bei Vater oder Bruder ab 45 Jahren.

Prostatakrebs ist mit Abstand häufigste Krebserkrankung beim Mann. Ab wann sollte regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen durchgeführt werden und wie sehen diese aus?

Eine sinnvolle Vorsorgeuntersuchung beim Mann soll mit 50 Jahren erfolgen, bei familiärer Belastung ab 45 Jahren. Ziel der Vorsorgeuntersuchung ist, einen Mann vom Risiko eines Prostatakrebses zu entlasten oder eben ein klinisch relevantes Prostatakarzinom so früh zu diagnostizieren, dass es geheilt werden kann.

Was passiert, wenn ein Karzinom entdeckt wird? Welche Chancen hat ein Patient mit Prostatakrebs um seine erektile Funktion zu behalten?

 Das Prostatakarzinom ist häufig. Nicht jedes Prostatakarzinom muss behandelt werden, aber das behandlungsbedürftige Prostatakarzinom muss früh diagnostiziert sein. Bei aktiven Männern bis 75 Jahre circa ist die radikale Prostatektomie im Falle des klinisch organbegrenzten Karzinomes häufig die beste Lösung zur Heilung. Ist das Karzinom früh genug diagnostiziert, können die neurovaskulären Strukturen (Potenznerven) geschont werden. Dies gelingt uns in 75%. Kann die Schonung der Bündel nicht erfolgen, kann diesen Patienten immer noch mit medikamentöser Hilfe zur Penetration verholfen werden.

Gibt es neue Entwicklungen in der Behandlung von Prostatakrebs?

Operativ entwickeln sich Methoden zur fokalen Therapie (Kryotherapie, Brachytherapie, HIFU) – diese Techniken sind aber insgesamt immer noch klinisch experimentell ohne Langzeitdaten und viele Experten sind der Meinung, dass eine fokale Therapie für ein klinisch unwesentliches Karzinom eine Übertherapie darstellt und für ein klinisch relevantes Karzinom eine Untertherapie sind. Daher ist die radikale Prostatektomie oder die kurative Bestrahlung immer noch der Goldstandard. Neuigkeiten gibt es vor allem dann in der Hormontherapie beim metastasierenden Karzinom, seit circa 12 Monaten stehen uns effiziente Second-Line-Hormontherapien zur Verfügung.

Ihre Klinik betreibt auch ein modern ausgerichtetes Forschungslabor. Welche Projekte stehen momentan im Sicht?

John_1 Als grosses öffentliches Spital mit Anschluss an die Universität Zürich sind für mich die klinische Forschung und auch ausgewählte basiswissenschaftliche Forschungsberichte wichtig. Seit über zehn Jahren pflegen wir eine intensive Kooperation mit dem Anatomischen Institut der Universität Zürich und haben die modernsten Forschungs- und Labortechniken als Optionen im Einsatz. Traditionell arbeiten wir im Bereich der überaktiven („nervösen“) Blase bei der Frau und bei der obstruktiven Blase (Prostata vergrössert) beim Mann. So hat ein Mitarbeiter kürzlich den ersten Posterpreis am Nordrhein-Westfälischen Urologenkongress 2016 erhalten und wir haben diese Daten auch am Amerikanischen Urologenkongress vorgestellt. Die Hauptausrichtung meiner Klinik liegt aber in der hochqualitativen direkten Patientenbetreuung, wo wir unser Engagement konzentrieren.

Ich hoffe, Ihnen damit die gewünschten Informationen geben zu können und
grüsse Sie herzlich
Prof. Dr. med. Hubert John
Chefarzt